Eine Pracht

Wer also  im Mai oder Juli in das Borkener Paradies  wandert, hört meistens ein kleines Sinfoniekonzert aus Vogelstimmen. Es gibt den passenden Rahmen für die blau-weiß-gelb gesprenkelten Weiden, auf denen Rinder und Pferde grasen. Zitronenfalter, Bienen und Hummeln surren zu den kleinen Blüten von Gänseblümchen, Veilchen, Hahnenfuß und Heidenelke. Der Blick des Betrachters aber schweift immer wieder ab auf bizarr geformte Bäume, scheinbar urwüchsig und offensichtlich steinalt. Kaum Zweifel: So könnte das Paradies aussehen.

 

 

Eine Pracht, aber keine himmlische

 

Aber was für ein Irrtum: Im „Borkener Paradies“ ist diese Pracht keineswegs himmlisch, sondern sie ist von Menschen gemacht, genauer gesagt: Sie ist das Nebenprodukt einer jahrhundertealten bäuerlichen Tradition, eine phänomenale Kulturlandschaft. Der große Schatz sind die lebenden Zeugen längst vergangener Jahrhunderte: Knorrige Eichen mit weit ausladenden Kronen, dichte Schlehengebüsche, die sich wie zu hoch geratene Teppiche mal hier und mal dort breit machen, dazu Sandmagerrasen mit ihren seltenen bunten Blumen.

Beweidung mit Rindern und Pferden, einst auch Schweinen und Ziegen, hat diesen Teil eines alten Emsauwaldes in eine luftige Parklandschaft verwandelt und aus ihm ein Naturschutzgebiet von europäischem Rang gemacht. Der Hannoveraner Geobotaniker Professor Richard Pott, der das „Paradies“ seit Jahren erforscht, spricht gar von „Weltruhm“. Oft führt er Interessierte durch Weiden, Wald und Dünen. Regelmäßig auch Japaner, weil die „die Landschaft der romantischen europäischen Maler“ des 17. und 18. Jahrhunderts gerne einmal selbst sehen wollen.

Wer das heutige Erscheinungsbild des „Borkener Paradieses“ verstehen will, muss mit dem Professor in die Vergangenheit schauen. „Für die Menschen war stets der Wald das beherrschende landschaftliche Element“, erklärt Pott. „In Zeiten, in denen erst wenige Wälder gerodet worden waren, bot er nicht nur Holz, sondern auch Futter für die Tiere. Mit Eicheln oder Bucheckern fütterten die Bauern ihre Schweine, Laubheu diente als Winterfutter für Rinder und Schafe, und die im gelichteten Wald entstandenen Grasflächen waren die Sommerweide.“

Diese als Hude bezeichnete Wirtschaftsform gab es in Mitteleuropa Jahrtausende lang. Bis zur Markenteilung, die in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert einsetzte, war sie allgegenwärtig. Heute allerdings sind nur wenige dieser Landschaften erhalten, und noch weniger werden wie in alter Zeit bewirtschaftet. Bekannte Hutungen sind im Emsland neben dem „Borkener Paradies“ noch das weitgehend unbekannte, aber beinahe ebenso schöne „Versener Paradies“ – das, nur ein paar Steinwürfe entfernt, tatsächlich zu Versen gehört –, die Wacholderhaine in Wachendorf, Brögbern, Meppen oder Haselünne sowie das nicht mehr bewirtschaftete Tinner Loh.

Der Bentheimer Wald in der nahe liegenden Grafschaft wird seit einigen Jahren vom Tierpark Nordhorn wieder so bewirtschaftet zu werden wie vor Jahrhunderten.